Es ist einfach, eine beliebige Meinung zum vermeintlich angemessenen Preis des Bitcoin im Internet zu finden.
Einen begründbaren Wert für das Kryptoasset zu bestimmen ist wesentlich schwieriger.
Arten der Bewertung
Für technisch orientierte Anleger spielt die Bewertung eines Assets keine Rolle, denn sie achten nur auf den Preisverlauf und dessen Schwankungsbreite. Die meisten institutionellen Anleger nutzen jedoch auch fundamentale Kennzahlen, und sei es nur als unterstützendes Argument für eine Allokation.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Bewertung eines Kryptoassets. Im einfachsten Fall generiert ein Token Zahlungsströme und wie bei konventionellen Anlagen können die diskontierten Cash Flows herangezogen werden. Bei anderen digitalen Assets können komplexere Ansätze, wie der Netzwerkeffekt oder rein statistische Vorgehensweisen genutzt werden. In der Praxis werden in der Regel verschiedene Methoden kombiniert.
“Price is what you pay. Value is what you get.”
Warren Buffett
Der Faktor Knappheit
Beim Bitcoin ist die Datenhistorie zwar kurz, auf Grund der erkennbaren Parallelen zum Gold schauen die Analysten jedoch auch bei der Bewertung des ersten Kryptoassets auf den Faktor Knappheit. Die entsprechenden Daten sind für alle Interessierten verfügbar, denn neben der finalen Geldmenge sind sowohl die Anzahl der existierenden als auch die der neu emittierten Coins jederzeit bekannt.
Es gibt derzeit rund 19 Millionen Bitcoin. Ähnlich wie bei den Anteilsscheinen einer Aktiengesellschaft befinden sich nicht alle Bitcoin im Streubesitz und werden regelmäßig gehandelt. Ein weiterer Faktor sind diejenigen Bitcoin, die für immer verloren sind, die so genannten lost coins. Diese reduzieren dauerhaft das Angebot und sind somit ein deflationärer Faktor, der den Wert der verbliebenen Coins stützt.
Auch Aussagen über die Haltedauer können in die Bewertung einfließen. So lassen sich die existierenden Bitcoin nach der Dauer kategorisieren, für die sie mit einer bestimmten Adresse assoziiert sind. So kann der Anteil langfristig orientierter Investoren ermittelt werden, die nicht am täglichen Rauschen des Marktes interessiert sind.
“If you don’t bet, you can’t win. If you lose all your chips, you can’t bet.”
— Larry Hite
Das Stock-to-Flow Modell
Die Elemente des Bitcoin-Protokolls wie Kryptographie, proof-of-work und die dynamische Anpassung des Schwierigkeitsgrades haben ein Ziel: Die verifizierbare Knappheit eines digitalen Guts. Es gibt viele Kryptoassets, die über das Protokoll eine beliebige Vermehrung der existierenden Token ausschließen und die Ausweitung der Geldmenge und eventuelle Obergrenzen festlegen.
Die begrenzte Anzahl bestimmter Token und der transparente Umfange der Geldschöpfung führten zur bekannten Analogie von Bitcoin als digitalem Gold. Wie beim Edelmetall fand daher rasch auch beim Bitcoin das durchaus umstrittene Konzept des “Stock-to-Flow” (S2F) Anwendung. Bei diesem Ansatz wird der Bestand (stock) und die neu erzeugten Coins (flow) ins Verhältnis gesetzt. Das Resultat, die Stock-to-Flow Ratio wird von einigen Analysten als Basis für die Bewertung des Bitcoin und anderer digitaler Assets genutzt.
Da sowohl die Anzahl existierender Bitcoin als auch der Zeitpunkt und die Anzahl neuer Coins bekannt ist, lässt sich der Wert des Stock-to-Flow für jeden beliebigen Zeitpunkt in der Vergangenheit und in der Zukunft und exakt ermitteln.
“Apple is a mobile network, Google is a search network, Facebook is a social network, Bitcoin is a monetary network. All benefit from advances in software & hardware technology, as well as Metcalfe’s law. Many understand the former, few understand the latter.”
— Michael Saylor (CEO MicroStrategy)
Betrachtet man Krypoassets als Wertaufbewahrungsmittel, dann kann auch der Vergleich mit anderen Assetklassen herangezogen werden. Was bei allen Diskussionen um den Marktwert einzelner Anlagen, sei es die Aktie von Amazon, ein Gemälde von Rembrandt oder der Bitcoin, auffällt ist, wie viele die Größe des weltweiten Kapitalmarkts unterschätzen und den Anteil der Kryptoassets überschätzen.
Im Verhältnis zum Gesamtwert aller Aktien, Anleihen, Immobilien sowie des Kunstmarktes und sämtlicher Goldbestände macht der Marktwert aller Kryptoassets weniger als ein halbes Prozent aus.
“Uncertainty is an uncomfortable position. But certainty is an absurd one.”
— Voltaire
Der Netzwerkeffekt wurde durch die Arbeit von Robert Metcalfe, einem der Miterfinder des Ethernets und Mitbegründer des Netzwerkausrüsters 3Com Corporation populär. Der Netzwerkeffekt beschreibt, wie sich der Nutzen und damit auch der potentielle Wert eines Netzwerkes in Abhängigkeit von der Teilnehmerzahl ändert. Wie bei einem Telefonnetz wächst der Nutzen jedes Netzwerks mit der Anzahl der aktiven Nutzer. Gerade für ein dezentrales Zahlungssystem ist die Adoption durch viele Nutzer essentiell. Metcalfe formulierte eine Formel für die Bewertung von Netzwerken, die heute als Metcalfe’s Law bekannt ist.
Bei der Bewertung des Bitcoins auf Basis des Netzwerkeffekts wird als Näherung für die Anzahl der Nutzer in der Regel die Anzahl aktiver Adressen genutzt. Die Reduktion auf diesen einen Faktor macht die Auswertung sehr einfach, auf Grund der nur groben Approximation jedoch anfällig für Fehler. In der Praxis eingesetzte Modelle integrieren daher weitere Parameter wie beispielsweise das mittlere Transaktionsvolumen pro Adresse.
Metcalfe’s Law kann ein interessanter Baustein innerhalb umfangreicherer Bewertungsansätze sein. Der theoretische Hintergrund ist deutlich besser begründet als beim Stock-to-Flow Modell, aber an fundierter Kritik herrscht auch bei diesem Ansatz kein Mangel.
“Everything that can be counted does not necessarily count; everything that counts cannot necessarily be counted.”
— Albert Einstein
Einer der wesentlichen Kritikpunkte an Kryptoassets sind die fehlenden Kapitalerträge. Diese Generalkritik geht fehl, denn sie trifft zwar auf viele Kryptoassets wie den Bitcoin zu, aber bei weiten nicht auf alle. Vor allem im Segment Decentralized Finance existieren Token, die Cash Flows generieren. Bei der Bewertung dieser Projekte lassen sich daher im Gegensatz zum Bitcoin auch etablierte Ansätze der Unternehmenswertung einsetzen.
Die Discounted Cash Flow (DCF)-Methode ist die bekannteste Art der ertragsorientierten Bewertung. Der Ansatz ist simpel und leicht nachvollziehbar. Ein weiterer Ansatz ist die Heranziehung konventioneller Bewertungskennzahlen wie Umsatz und Gewinn im Verhältnis zum Marktwert. Dieser Ansatz wird auch Comparable Company Approach genannt und kann problemlos auch auf Token eines Sektors angewendet werden. So können beispielsweise die Projekte eines Sektors wie dezentrale Börsen (DEXes) direkt miteinander verglichen werden.
“The markets are the same now as they were five to ten years ago because they keep changing – just like they did then.”
— Ed Seykota